Imitation als kulturelles Prinzip

Organisatoren
DFG-Netzwerk „Imitation. Mechanismen eines kulturelles Prinzips im Mittelalter“
Ort
Eisenach
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.04.2015 - 18.04.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Birgit Kynast, Historisches Seminar, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz / Coralie Zermatten, Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG), Technische Universität Dresden

Das Wissenschaftliche Netzwerk „Imitation als kulturelles Prinzip im Mittelalter“, das in November 2014 ins Leben gerufen wurde, traf sich vom 16. bis 18. April 2015 zu einer Tagung in Eisenach. Neben den Netzwerkmitgliedern nahmen fünf externe Gäste als Vortragende oder Moderatoren teil. Im Sinne des Netzwerkes wurde die Tagung auch als Austauschplattform genutzt, um die Arbeit an der geplanten Quellenanthologie weiterzuführen.

Nach der Begrüßung durch die beiden Sprecher des Netzwerkes, Gerald Schwedler (Zürich) und Jörg Sonntag (Dresden), moderierte Mirko Breitenstein (Dresden) die erste Sektion „Text und Sprache“, die mit dem Vortrag von CHRISTEL MEIER-STAUBACH (Münster) begann. Sie untersuchte imitatio und compositio anhand von Hybridformen mittelalterlicher Texte: Autoren kombinierten unterschiedliche Textgattungen, wie beispielsweise innerhalb eines Werkes Vers- und Prosaform (Prosimetrum, Opus geminum); auch Diskurse unterschiedlicher Herkunft konnten verbunden werden, wie Staubach mit dem Anticlaudianus von Alain von Lille und der Historia calamitatum von Abaelard zeigte. Dabei rekurrierte sie auf die These des Netzwerkes: Das Imitieren stellt hier stets eine gewollte Aktion des Autors dar. DINA DE RENTIIS (Bamberg) unterstützte diese Ansicht, denn sie betonte die Bedeutung des Handelns (facere) in der Literatur: Die besten Beispiele mussten von den Autoren zunächst einmal erkannt werden, um sie dann zu imitieren, sie mussten also als der Imitation würdig erachtet werden. Somit zeigt die Imitation im Mittelalter die Spur des Handelns; sie wurde aber nur dann geschätzt oder positiv gewertet, wenn sie die richtigen Früchte trug. Dieses Verfahren geriet erst durch die Regulierungsansätze des 16. Jahrhunderts in Misskredit. Mit dieser Neubewertung des Imitierens verlor die Imitation der klassischen Autoren in der Folge an Wert. Im Anschluss behandelte JÖRG SCHWARZ (München) in seinem Vortrag die Chronik des Bartolomeo di Neocastro und zeigte anhand eines Auszuges über die Schilderung der Sizilianischen Vesper eine Imitation der Formen und des Inhalts der Schilderung des Falls der Stadt Akkon 1291. Obwohl die Chronik von Bartolomeo lediglich in Prosaform überliefert ist, enthält sie im Prolog einen Hinweis darauf, dass sie ebenfalls in Versen verfasst worden sei. Ob es diese Version gegeben hat, ist sehr zweifelhaft, doch versucht möglicherweise die Erwähnung dieses angeblichen Werkes der Chronik einen höheren literarischen Wert zu verleihen. Als letzter Vortragender der Sektion erweiterte MICHAEL GRÜNBART (Münster) das Forschungsfeld um Byzanz: Hier fanden sich andere Ausprägungen literarischer Regeln als im lateinischen Europa. Auch hier war aber imitatio durch actio charakterisiert. Die sogenannte Renaissance des Libanios im 14. Jahrhundert zeigt die hohe Bewertung des Imitierens in der Byzantinischen Welt einerseits, andererseits machte sie jedoch den schmalen Grad zur (moralischen) Bewertung als Plagiat, als Diebstahl, deutlich. Eine gelungene Imitation war dagegen positiv konnotiert. Ganz allgemein plädierte Grünbart für eine grundsätzliche Untersuchung der Mimesis für Byzanz und betonte den möglichen Nutzen dieses griechischen Begriffs, der trotz des gleichen Bedeutungsinhalts einen positiveren Klang besäße.

Die beiden folgenden Sektionen der Tagung trugen die Titel „Konzeptionen“ und „Objektimitation“; sie umfassten die Vorträge von IRINA REDKOVA (Moskau), REGINA D. SCHIEWER (Eichstätt) und CORALIE ZERMATTEN (Dresden). Die Vortragenden bewegten sich auf dem Terrain religiöser Schriften und Darstellungen, um ein Verständnis sowie die Praxis von Imitation darzustellen. Redkova zeigte einen Blick mittelalterlicher Rezipienten auf Augustins Werk De civitate dei, sowie ihre spezifische Wahrnehmung und Inanspruchnahme des Konzepts des Gottesstaats. Anhand unterschiedlicher Autoren konnte sie sehr gut wechselnde Paradigmen zeigen und welche Art von Verschiebungen infolge dieser auftraten. Schiewer stützte im Anschluss die Ausführungen ihres Vortrags auf die Sammlung der St. Georgener Predigten und ging anhand dieser der praktischen imitatio Christi bei den Dominikanerinnen nach. Sie zeigte die komplizierte Verbindung zwischen Verehrung und Nachahmung von Heiligen und Märtyrern: Um keine offensichtliche Devianz zu riskieren, war es sehr wichtig, die Eignung eines Vorbilds zunächst zu erkennen, bevor eine Imitation erfolgen konnte. Schließlich zeigte die dritte Sektion, wie die zweite ebenfalls unter der Moderation von Florian Hartman (Bonn), durch den Vortrag von Zermatten über die Siegel und vexilla eremitischer Observanzen, dass religiöse Orden ihre Markenzeichen in der Prägung der Siegel aufbrachten. Eine Imitation von Propheten wie Elias, Elisäus oder von Johannes dem Täufer mittels der Siegel nutzten einzelne Klöster und Priore als Darstellungsmittel.

Die vierte Sektion „Ritual“ unter der Leitung von Dominik Fugger (Erfurt) beinhaltete die Vorträge von BIRGIT KYNAST (Mainz), ANDREAS BÜTTNER (Heidelberg) und MELANIE BRUNNER (Leeds). Kynast konnte im ersten Vortrag zeigen, dass der Bischof Burchard von Worms sich in seiner Sammlung auf Traditionen unter anderem des frühmittelalterlichen kirchlichen Rechts stützte. Imitation beinhaltete hier Aktionen des Sammelns und Modifizierens, die jedoch kein Überschreiten des autoritativen Fundaments intendierten. Im Anschluss zeigte Büttner, dass die Texte von Krönungsritualen grundlegend für das Verständnis der europäischen Monarchien des Mittelalters sind. Obwohl die Rituale der Krönung einem strengen Protokoll folgen sollten, zeigte oftmals die tatsächlich durchgeführte Zeremonie, dass Anpassungen und Modifikationen situativ möglich waren. Die grundsätzliche Wiederholbarkeit des Rituals blieb dabei dennoch als Voraussetzung vorhanden. Brunner verfolgte in ihrem Vortrag einen ähnlichen Ansatz mit Beispielen des Avignonesischen päpstlichen Hofes. Gestützt auf das Quellenkorpus der Kardinalpredigten zeigte Brunner, wie die päpstliche Kurie versuchte, sich als Nachfolger der Apostelgemeinschaft zu stilisieren. Johannes XXII. selbst beschäftigte sich auch intensiv mit dieser Imitationsvorstellung, was sich daran zeigen lässt, dass er in Briefen auf dieses Verständnis der Kurie als Apostelgemeinschaft Bezug nahm.

Ein Round Table mit einer Diskussion der Quellenanthologie schloss die Tagung ab. Die Netzwerkmitglieder konnten hier von den wertvollen Ratschlägen der Gäste profitieren. Die Tagung trug allgemein zur weiteren Fundierung der Definition des Imitationskonzeptes bei: Wahrnehmung und Wertung von Imitationen dienen dabei nicht als Untersuchungsgegenstände; das Netzwerk widmet sich vielmehr der Imitation als Akt intentionellen Handelns. Der Begriff Imitation ist ein fruchtbarer heuristischer Zugang zu einer Vielzahl unterschiedlicher mittelalterlicher Lebensbereiche, während Begriffe wie imitatio, compilatio oder auch compositio im Laufe des Mittelalters Bedeutungsverschiebungen aufweisen. Der Vielschichtigkeit des Imitationsbegriffs wird sich entsprechend die nächste Konferenz des Netzwerks in Zürich 2016 widmen.

Konferenzübersicht:

Gerald Schwedler (Zürich) / Jörg Sonntag (Dresden), Begrüßung und methodische Hinführung

Sektion I: Text und Sprache
Mirko Breitenstein (Dresden), Moderation

Christel Meier-Staubach (Münster), Imitatio und compositio. Bemerkungen zur Autorschafts- und Gattungsproblematik der mittelalterlichen Literatur

Dina de Rentiis (Bamberg), Ta en chresei. Für eine handlungstheoretische Philologie

Jörg Schwarz (München), Der sizilische Chronist Bartolommeo da Neocastro und seine Schilderung des Falls der Stadt Akkon 1291 als imitatio des Untergangs der Herrschaft der Franzosen auf Sizilien

Michael Grünbart (Münster), Imitatio und Verwandtes im byzantinischen Mittelalter

Sektion II: Konzeptionen
Florian Hartmann (Bonn), Moderation

Irina Redkova (Moskau), Die Imitation des Gottesstaates. Stadtkonzeptionen im hohen Mittelalter aus religiöser Sicht

Regina D. Schiewer (Eichstätt), ... das sein leip nie verseret wart. Verletzte und unversehrte Heilige als 'role models' für geistliche Frauen des 14. und 15. Jahrhunderts

Sektion III: Objektimitation
Moderation: Florian Hartmann (Bonn)

Coralie Zermatten (Dresden), Selbstdarstellung und -inszenierung. Siegel und vexilla eremitischer Observanzen

Sektion IV: Ritual
Moderation: Dominik Fugger (Erfurt)

Birgit Kynast (Mainz), Eine neue Perspektive auf das Selbstverständnis mittelalterlicher Kompilatoren? Das Konzept der imitatio und die Praefatio zum Dekret des Bischofs Burchard von Worms

Andreas Büttner (Heidelberg), Nachahmungen und ihre Grenzen. Königskrönungen durch den Papst, Kaiserkrönungen ohne den Papst

Melanie Brunner (Leeds), Papst Johannes XXII. und Robert von Neapel. Imitation und gegenseitige Einflussnahme an geistlichen und weltlichen Höfen des frühen 14. Jahrhunderts

Gemeinsame Diskussion zur geplanten Quellenanthologie


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